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Das Massaker von Oradour: OLG Köln weist sofortige Beschwerden der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen Nichteröffnung des Hauptverfahrens zurück

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Rainer1Das Oberlandesgericht Köln hat die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft Dortmund und mehrerer Nebenkläger gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens wegen des Weltkrieg-II-Massakers von Oradour gegen meinen inzwischen 90-jährigen Mandanten, dem   vielfacher Mord und Beihilfe zum Mord in mehr als 600 Fällen zur Last gelegt wurde, zurückgewiesen und damit die im vergangenen November getroffene Entscheidung des Kölner Landgerichts bestätigt.

Entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft bestehe – so das OLG – keine hinreichende Verurteilungswahrscheinlichkeit. Die vorliegenden Beweismittel dürften auch im Falle einer Beweisaufnahme nicht ausreichen, einen individuellen Schuldnachweis zu führen.

In seiner Entscheidung hat das OLG – wie auch schon die Verteidigung und das Landgericht – ganz wesentlich darauf abgestellt, dass es keine einzige Zeugenaussage gebe, die den hochbetagten Angeschuldigten belaste. Im Gegenteil: Soweit es um die angeklagten Erschießungen an einem Weinlager gehe, werde dieser von diversen Zeugen, die sich hierzu geäußert und auch Namen genannt hätten, nicht erwähnt oder beschrieben. Es spreche manches dafür, dass er nicht an dieser Aktion teilgenommen hätte. Soweit der an der betreffenden Erschießung beteiligte Trupp dann zur Kirche weitergezogen sein soll, um dort an der Erschießung von Frauen und Kindern oder am Verbringen von Zündmaterial teilzunehmen, stehe eine Tatbeteiligung ebenfalls nicht fest. Die Anklage habe insoweit auch keinen konkreten Tatbeitrag bezeichnen können. Es sei darüber hinaus auch nicht anzunehmen, dass in einer Hauptverhandlung subjektive Mordmerkmale nachgewiesen werden könnten.

Das OLG hat – insoweit ebenfalls der Argumentation der Verteidigung folgend – dargelegt, dass die vom Landgericht München entwickelte Rechtsprechung im Fall „Demjanjuk“, wonach das bloße Mitwirken in einem menschen- und völkerrechtswidrigen Vernichtungslager auch dann eine Beihilfe zum Mord darstellen könne, wenn keine individuelle Teilnahme an einer konkreten Tötungshandlung nachzuweisen sei, ersichtlich nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden könne, da es sich bei dem Massaker in Oradour nicht um eine systemimmanente Aktion, sondern um eine individuell angeordnete Repressalie bzw. um einen Rachakt gehandelt habe, für den der Kompaniechef Diekmann vor das Kriegsgericht hätte gestellt werden sollen. Diekmann war wenige Tage nach dem Massaker an der Front gefallen.

Für meinen hochbetagten Mandanten dürfte der Fall damit – soweit es um die strafrechtliche Seite geht – abgeschlossen sein. Es ist wohl auszuschließen, dass noch einmal neue Beweismittel auftauchen werden, die eine erneute Strafverfolgung ermöglichen könnten. Oradour wird ihn aber auch für den Rest seines Lebens begleiten. Zu schrecklich war das Geschehen, das er dort als junger Mensch von 19 Jahren miterleben musste, zu ungeheuerlich die Zahl von 642 unschuldigen Frauen, Männern und Kindern, die sinnlos ermordet wurden. Sein Entsetzen über das Geschehen und sein Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen hat er im Ermittlungsverfahren und später auch in verschiedenen Fernseh- und Zeitungsinterviews bekundet.

So, wie ich den Mann kennengelernt habe, nehme ich ihm dies ab. Natürlich kann ich nicht wissen, ob er dort unten in Oradour tatsächlich – wie er sagt – keinen Schuss abgegeben hat. Ich war nicht vor Ort und kann ihm letztlich nur vor den Kopf und nicht in den Kopf schauen. Nach intensivem Studium der mehr als 50.000 Seiten Akten spricht aus meiner Sicht allerdings Vieles dafür, dass er tatsächlich nicht persönlich an den Tötungshandlungen beteiligt war. Ob dies zutrifft, weiß allenfalls er selbst. Vielleicht aber auch nicht, weil traumatische Ereignisse die Eigenschaft haben, gerne verdrängt zu werden, und weil sich im Laufe von Jahrzehnten Erlebtes, Gehörtes, Gelesenes und anderweitig Kolportiertes und natürlich auch Geträumtes und Vorgestelltes derart miteinander vermischen können, das die eigentliche Wahrheit auf der Strecke bleibt. Das autobiografische Gedächtnis neigt manchmal dazu, die Dinge zu verändern.

Ich halte die Entscheidungen der Kölner Gerichte für mutig und folgerichtig.

Mutig deshalb, weil sich die beteiligten Richterinnen und Richter schnell dem Vorwurf ausgesetzt sehen könnten, in der Tradition der Justiz der Adenauerzeit Unrecht unter den Teppich kehren zu wollen und auf dem rechten Auge blind zu sein. Sie hätten leicht der Verlockung erliegen können, das Verfahren trotz der unzureichenden Beweislage zu eröffnen, um zu dokumentieren, dass Deutschland jedenfalls heute zu seiner historischen Verantwortung bei der Aufarbeitung von Nazi-Unrecht steht.

Folgerichtig, weil die Unschuldsvermutung auch und gerade im Falle von schwersten Straftaten gelten muss, und weil die äußerst dünne Beweislage ersichtlich niemals für eine Verurteilung hätte ausreichen können. Es wäre aus meiner Sicht nicht zulässig, die sicherlich notwendige Geschichtsforschung auf dem Buckel eines alten Mannes zu betreiben, gegen den sich ein hinreichender Tatverdacht nicht begründen lässt und der ein solches Verfahren vielleicht nicht überleben würde.

Die deutsche Justiz hätte schon vor Jahrzehnten ihre Möglichkeiten wahrnehmen sollen, die tatsächlich verantwortlichen Entscheidungsträger für das Massaker von Oradour zur Rechenschaft zu ziehen. Dieses Versäumnis lässt sich heute nicht mehr dadurch retten, dass damals noch sehr junge Soldaten ohne Entscheidungsbefugnisse trotz unzureichender Beweislage vor Gericht gestellt werden.

 


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